Ansprache zum Jahrestag der Pogromnacht von Bürgervorsteherin Monika Saggau

Bürgervorsteherin und Kreistagsabgeordnete Monika Saggau

Ansprache zum Jahrestag der Pogromnacht am 9.11.1938, Bad Segeberg , den
9.11.2019

Liebe Bürgerinnen und liebe Bürger der Stadt Bad Segeberg
sehr geehrte Damen und Herren,

Wir sind heute hier zusammen gekommen und das, in sehr großer Zahl, um uns in erster
Linie zu Erinnern, damit die bedeutenden zwei Worte unserer Väter der Demokratie nach
dem zweiten Weltkrieg, das „Nie wieder“ uns immer gegenwärtig bleibt und das es auch
so bleibt.

Viele von Ihnen sind heute auch hier, um ein Zeichen zu setzen, damit die Gefahr durch
die rechte Szene, die zurzeit in Bad Segeberg, Sülfeld besteht, hier bei uns keinen
Nährboden findet
.
Daher begrüsse ich, persönlich sehr, das Engagement der Sülfelder Gemeinde und der
Segeberger Initiative „ Wir sind mehr – Bad Segeberg bleibt bunt“ aus vollem Herzen.
Heute jähren sich zum 81. Mal die schrecklichen Ereignisse des 9. November 1938, an
dem in ganz Deutschland Synagogen zerstört, jüdische Geschäftshäuser geplündert und
jüdische Mitbürger verhaftet und getötet wurden.

Lassen Sie mich zu diesem Thema mit einem Zitat anfangen!
„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft!“ (Wilhelm von Humboldt )
Mir und vielen anderen reicht es aber nicht nur aus in die Vergangenheit zu schauen und
sich zu erinnern:

Die Erinnerung bleibt sinnlos, wenn sie nicht nachhaltig ist und Impulse für die Gestaltung
der Gegenwart und der Zukunft gibt.

Die Pogromnacht, so wissen wir aus der Rückschau, war ein Wendepunkt: Sie war der
Auftakt zum Völkermord.

In dieser Nacht brannten die Häuser, Geschäfte und Gotteshäuser. Unter der Fahne von
Rassenhass und Zerstörungswut wurden Menschen gehetzt, gedemütigt und getötet.
Die Erinnerung an die dunkelsten Stunden der Deutschen Geschichte macht uns bewusst,
welch große Schuld die Menschen in unserem Land auf sich geladen haben, indem sie
gemordet, getreten und geschlagen, denunziert oder einfach nur weggesehen haben.
Für die meisten handelt es sich bei der Erinnerung an die Reichspogromnacht, um eine
Geschichte, die sie vielleicht von Augenzeugen erzählt bekommen haben, oder, sehr viel
wahrscheinlicher, lediglich aus Büchern, Filmen und Bildern kennen.

Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen!
Die Gewalt der Nazis sorgte für unendlich viel Leid auf der ganzen Welt, auch für die
Juden in Segeberg mit all ihren schrecklichen Konsequenzen. Der Stadthistoriker Axel
Winkler aus der Segeberger Geschichtswerkstatt hat eindrucksvoll die Geschichte der
Familie Baruch aus Bad Segeberg aufgezeigt. Die Ausstellung ist vor dem Bürgersaal zu
sehen.

Heute treffen wir uns hier zum Gedenken an die Opfer des 9. November 1938. Vielleicht
mehr als in allen Jahren zuvor muss uns dabei klar sein: was wir hier tun ist kein Ritual.
Es ist kein Zusammenkommen bei dem die Vergangenheit nicht allein im Zentrum steht,
sondern es ist ein Treffen bei dem wir uns dessen vergewissern, was die Generationen
nach dem Krieg für sich und uns unumstößlich formuliert haben: „Nie wieder!“
Es sind nur zwei kleine Worte aber mit einer großen Verantwortung!
Wir erleben, das mit großer Schamlosigkeit die Wortführer der Rassisten, die Spielräume
des Sagbaren ausdehnen und schneller als wir es begreifen können, werden ihre Theorien
gesellschaftsfähig.

Mit ihren schrillen Wortführern wollen Sie die deutsche Geschichte umdeuten und daraus
Konsequenzen ziehen. Sie wollen aufs Neue Menschen entwürdigen und diskriminieren,
Angst schüren und den gesunden Menschenverstand in Frage stellen.
Sie sind so schlimm wie die Motive derer, die im November 1938 die Fackeln
geschwungen und die Brandsätze geworfen haben.

Machen wir nicht den Fehler – das nicht ernst zu nehmen! Machen wir nicht den Fehler zu
glauben, das seien Einzelstimmen und machen wir auch nicht den Fehler zu meinen, es
fehle hier an intellektueller Befähigung und Grundlage.
Ich sage nur die zwei Worte: Nie wieder !

Meine Damen und Herren, in unserer guten, starken und überzeugenden Demokratie
müssen wir vor nichts fürchten, auch nicht vor denen, die uns erklären wollen, was
angeblich Deutsch ist und wie wir es leben sollen.

Wir müssen und sollten unsere Vielfalt leben und uns der Einfalt stellen! Es braucht
unseren Mut und unsere Courage!
„Nie wieder!“ , das heißt nicht nur – nie wieder brennende Gotteshäuser, das heißt auch:
Nie wieder wegducken.
Nie wieder still sein.

Wenn wir heute am 9. November 2019 an die Menschen denken, die vor 81 Jahren zu
Opfern des Pöbels wurden – dann tun wir gut daran, uns an das „Nie wieder“ zu
erinnern.

Und daraus Konsequenzen für uns zu ziehen. Für unsere Haltung zu politischen Fragen.
Für unsere Haltung und Miteinander in dieser Gesellschaft.
Meine liebe Bürgerinnen und Bürger,
Sie alle, wir alle tragen Verantwortung. Wir tragen Verantwortung dafür, dass
Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit bei uns in Bad Segeberg keine
Chance haben
.
Ich greife den Slogan der Segeber Initiative auf „Wir sind mehr – Bad Segeberg bleibt bunt“
Dies ist die Voraussetzung für das „Nie Wieder“.

„Wehret den Anfängen“ heißt es oft, wenn es um den Kampf gegen Rechtsextremismus
geht. Doch wir sind längst über dieses Stadium hinaus. Was wir fast täglich erleben, hat
nichts mehr mit „Anfängen“ zu tun.

Rechtsextremistisches, fremdenfeindliches Gedankengut ist längst in der Mitte der
Gesellschaft angekommen – in allen Schichten, in allen Bundesländern, in allen
Generationen.
Und das ist die bittere Wahrheit.

Doch diese Wahrheit erzählt uns noch nichts darüber, wie sich diejenigen fühlen, gegen
die sich der Hass richtet: die Männer und Frauen, die Mütter und Väter und Kinder mit
anderer Hautfarbe, anderem Akzent, aus anderen Ländern oder mit anderer Religion.
Sie erzählt noch nichts über unser eigenes Verhalten oder auch Versagen.

Wir dürfen es nicht zulassen, dass Menschen heute bei uns in Unsicherheit, in Gefahr und
Angst leben. Wir müssen alles tun, damit das gedankenlose antisemitische Denken,
Reden und Handeln von Alt- und Neonazis aber auch aus der Mitte der Gesellschaft, bei
uns keinerlei Chance und keinerlei Einfluss hat.

Toleranz, Respekt und Zivilcourage können nicht einfach von oben verordnet werden.
Diese Werte müssen wir selbst leben und vorleben, denn sie bilden das Fundament
unserer demokratischen Gesellschaft. Sie sind unser Rüstzeug zum Einschreiten, wenn
andere Böses tun.

Gerade das Wissen um die Gräueltaten der Vergangenheit kann uns dabei als
Frühwarnsystem für das eigene Handeln helfen.

Es kann uns helfen zu erkennen, wie schnell aus einzelnen Stimmen ein Chor des Hasses
entstehen kann.

Auch aus diesem Grund ist eine Gedenkkultur, wie wir sie in unserem Land und auch in
unserer Stadt bereits seit vielen Jahrzehnten pflegen, besonders wichtig!.

Sie unterstützt uns darin, ja sie zwingt uns dazu, aus den dunkelsten Kapiteln unserer
Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Wäre es anders, wir würden uns wieder schuldig
machen.

Das wir hier zusammenkommen, ist für mich, daher ein Zeichen der Verantwortung und
Hoffnung.

Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit in unserem Land und vor allem in unserer
Stadt Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit ablehnen. Aber diese
Mehrheit darf nicht länger schweigen, sie darf nicht länger wegschauen, sie darf nicht
länger die Vorgänge in unserem Land verharmlosen. Das Deutschland des Jahres 2019 ist
nicht das Deutschland des Jahres 1938.

Das schreckliche Attentat auf die jüdische Gemeinde in Halle hat erneut gezeigt, wozu die
Enthemmung und Entfesselung des Hasses im Netz führen kann.
Wir nehmen das nicht hin! „Nie wieder“

Unser Land, unsere Demokratie, braucht eine starke und entschiedene Mehrheit.
Ich habe mit einem Zitat begonnen und möchte mit einem weiteren enden.

„Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben – nicht wegen der Menschen, die Böses
tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen.“
(Albert Einstein )
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und sage von ganzem Herzen: Schalom!

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